Panta Ausgabe 4/1992
Unlegiertes Titan, das Metall der Zukunft in der Zahnheilkunde?
Eine materialkundliche Darstellung und Ergebnisse im biokybernetischen Verträglichkeitstest (EAV-Test)
Peter Stoll, Joachim Pajenkamp

Zusammenfassung
Mit dem von der Firma Morita entwickelten Vakuumdruckgußgerät und mit einer neuen Verfahrenstechnik, entwickelt von der Firma CGE in Waldshut, kann heute das Metall Titan in der prothetischen Zahnheilkunde problemlos verarbeitet werden.
Mit der von Voll inaugurierten Methode der EAV wird die Möglichkeit gegeben, Materialien auf ihre Verträglichkeit zu prüfen.
Diese Prüfung erfolgt am Menschen selbst unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen.
Unlegiertes Titan läßt die Erwartung einer hohen biokybernetischen Verträglichkeit zu. Der quantitative Aspekt wird bei der Testung miteinbezogen.
Die Prüfkörper-Serien ergeben bei fast allen getesteten Personen eine biokybernetische Verträglichkeit.

Schlüsselwörter
Titan (Ti)
Biokompatibilität
Korrosionsbeständigkeit
Geschmacksneutralität
galvanische Neutralität
geringes spezifisches Gewicht
ausreichende Festigkeit
geringe Wärmeleitfähigkeit
röntgenologische Transparenz
alpha-case
Kristallgitterstrukturumwandlung
Sauerstoff-, Stickstoff-, Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt
Verträglichkeitstest von vergossenem und unvergossenem Titan als prothetisches Konstruktionselement
Decoderdermographie
Patientenselektion
Elektroakupunktur nach Voll (EAV)

Summary
By means of the vacuum casting device developed by the Morita Company and of a new technology developed by CGE in Waldshut, the metal titanium can be processed without any problems in prothetic dentistry.
The EAV method inaugurated by Voll permits the testing of various materials with respect to their compatibility.
The test is being performed on the patient himself taking into account the individual circumstances.
Unalloyed titanium promises to be a material which has a high degree of biocybernetical compatibility. The quantitative aspect is also taken into consideration in the tests.
The series of tests on the various items has shown a biocybernetical compatibility in almost all patients.

Keywords
Titanium (Ti)
biocompatibility
corrosion resistance
neutrality of taste
galvanic neutrality
low specific weight
sufficient stability
low thermal conductivity
radiological transparency
alpha-case
crystallattice structural change
oxygen, nitrogen, carbon and hydrogen content
compatibility test of cast and uncast titanium as a prothetic construction element
decoderdermography
patient selection
electro-acupuncture according to Voll

Namhafte Legierungshersteller sind heute damit beschäftigt, dentale hochgoldhaltige Metallegierungen zu entwickeln, die einerseits in bezug auf die Verträglichkeit, und andererseits hinsichtlich der physikalischen (vorrangig: mechanischen) Eigenschaften, den hochgesteckten Anforderungen genügen. Untersuchungen haben ergeben (1, 2), dass nicht das Gold selbst, sondern meist ein (oder mehrere) Legierungsbestandteil(e) in den allermeisten Fällen für Unverträglichkeiten verantwortlich sind. Zwar wird versucht, dem Gold mehr Edelmetalle hinzuzulegieren, jedoch bestehen auch hier Grenzen, die einerseits im physikalisch-mechanischen, andererseits im monitären Bereich liegen. Es kann durchaus sein, dass eine ganz spezifische Legierung für einen "außergewöhnlichen Allergiepatienten" anwendbar ist. Nur ist der Aufwand, diese herauszufinden, derart groß, dass dies den wirtschaftlichen Rahmen und die Geduld des Patienten sprengen dürfte.
Die Zahl der Patienten, die über Unverträglichkeiten klagen, ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen (3, 4). Die Verwendung sogenannter Palladium-Basis-Legierungen und reiner NEM-Legierungen zeigen heute in verstärktem Maße ihre Wirkung durch Unverträglich-keiten.
Unterdessen verläuft die Diskussion über den neuen prothetischen Werkstoff Titan an den Universitäten auf Hochtouren. Es befinden sich heute drei Systeme mit unterschiedlichen Ansätzen zur Verarbeitung von Titan auf dem Markt. Man unterscheidet zwischen dem Erodierverfahren, dem computergesteuerten CAD-CAM-Kopierfräsverfahren und dem Gußverfahren. Bei den beiden erstgenannten Verfahren wird das Werkstück aus einem Vollblock gefertigt.
Demzufolge sind komplizierte Konstruktionen, wie z.B. Modellgußgerüste, nicht anzufertigen. Neben diesem Handicap sind die maschinellen Anlagen derart aufwendig, dass eine Anwendung im Labor nur unter großem finanziellen Aufwand erfolgen kann.

Dagegen ist das Gußverfahren erheblich flexibler. Sämtliche zahnärztliche Werkstücke lassen sich im bereits bekannten Wachsausschmelzverfahren anfertigen. Jedoch bedarf es auch hier verfahrenstechnischer Anstrengungen.

Das Element Titan
Klaproth entdeckte 1795 ein Mineral, welches er nach den Söhnen der Urmutter Erde, den Titanen, benannte. Erst 1910 gelang dann die großtechnische Herstellung von 98 bis 99%igem reinen Titan.
Heute wird es besonders in der Luft- und Raumfahrt und in immer stärkerem Maße in der Medizintechnik eingesetzt. Künstliche Gelenke, Drähte, Schrauben und Nägel für die Knochenchirurgie mögen als hinlänglich bekannte Beispiele dienen. In der Zahnmedizin und Zahntechnik wird Titan als Werkstoff für Implantate und prothetische Arbeiten erst seit ca. 4 Jahren verwendet.

Eigenschaften des Elementes Titan
Acht überragende Eigenschaften beinhaltet dieses chemische Element:
1. Biokompatibilität,
2. Korrosionsbeständigkeit,
3. Geschmacksneutralität
4. galvanische Neutralität in der Mundhöhle,
5. geringes spezifisches Gewicht,
6. ausreichende Festigkeit,
7. geringe Wärmeleitfähigkeit,
8. röntgenologische Transparenz.

All diese Eigenschaften beziehen sich auf "Reintitan" (richtiger gesagt: unlegiertes Titan).

Nach DIN 17850 hat man unlegiertes Titan in 4 Klassen unterteilt. Es handelt sich hierbei um verschiedene Reinheitsgrade, da die Industrie aufgrund der großtechnischen Herstellung von Titan maximal 99,8 bis 99,9%iges reines Titan erzeugen kann (5).
Bei den restlichen 0,2% handelt es sich um Spuren von Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff (6).
Lediglich der höchstzulässige Restsauerstoffgehalt unterscheidet die 4 Klassen (Tab. 1).
Wie aus den Abb. 1 und 2 zu entnehmen ist, nehmen mit steigendem Sauerstoffgehalt die Rp 0,2% Dehngrenze und die Bruchfestigkeit Rm zu, während die Bruchdehnung A sinkt. Das Elastizitätsmodul E liegt zwischen 90 000 und 100 000 N/mm². Je nach Art und Umfang einer prothetischen Arbeit kann der Behandler aus unlegiertem Titan der Klasse I-IV wählen. Gegenüber allen Vorzügen des Metalls Titan bemängeln Skeptiker und Gegner des Titangußverfahrens in ihren Publikationen die unzureichende Paßgenauigkeit der Werkstücke. Kernproblem stellt die aggressive Titanschmelze dar, die in Verbindung mit den z.Zt. auf dem Markt befindlichen Formmassen (Einbettmassen) eine Oxydation mit Eindringtiefen von 0,05 bis 0,3 mm nicht verhindern kann. Da diese sogenannte "alpha-case" vom Gußobjekt entfernt werden muß - und dies selbstverständlich auch an den Kroneninnenwandungen - seien Randschlüsse, wie sie heute mit anderen Dentallegierungen erreichbar sind, nur schwer zu erzielen. Jedoch wurde ein von der CGE zum Patent angemeldetes Verfahren entwickelt, das den versprödungsfreien, also "alpha-case-freien" Titanguß erlaubt.
Ungeachtet dessen sei noch einmal ausdrücklich vermerkt, dass die Versprödung der Oberfläche (alpha-case) eine Besonderheit des Metalls Titan darstellt. Die Oberfläche wird derart stark verhärtet, dass eine um bis das 10fache ansteigende Härte (gemessen nach Brinell HB) an den Randzonen auftritt. In der Luft- und Raumfahrt ist dieser Effekt willkommen. Diesem Umstand verdankt das Metall auch seinen Ruf. Aber es ist nicht das Metall selbst, welches die Härte besitzt, sondern lediglich die versprödete Außenhaut. Beim unvergossenen Rohmaterial liegt die Härte in der Nähe herkömmlicher hochgoldhaltiger Dentallegierungen. Bei der Herstellung von Zahnersatz muß die o.g. alpha-case vollständig entfernt werden. Untersuchungen haben eindeutig ergeben, dass nach Abtragen der alpha-case im Inneren des Metalls keine Veränderungen zum Ausgangsmaterial bestehen. Somit bleiben auch nach dem versprödungsfreien Vergießen des Metalls alle acht oben näher aufgeführten Vorzüge erhalten.

Die thermische Umwandlung von Titan, also der Gußvorgang selbst, ist aufgrund von vier verschiedenen Faktoren nicht so unproblematisch, wie bei allen bisher auf dem Markt befindlichen Dentallegierungen.

Das liegt an folgenden Faktoren:
1. an der hohen Schmelztemperatur von ca. 1700°C,
2. am Wandel der Metallgitterstruktur bei ca. 885°C,
3. an der in der kubisch-raumzentrierten Betaphase auftretenden Affinität des Metalls zu Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff,
4. an der schlechten Wärmeleitfähigkeit, die zur Folge hat, dass die Schmelze nach Abbruch der Wärmezufuhr blitzschnell erstarrt.

Die japanische Firma Morita hat mit ihrem Vakuumdruckgußgerät "CY-CLARK" eine Maschine entwickelt, die das Vergießen von Titan problemlos bewältigt. Es sei an dieser Stelle vermerkt, dass sämtliche bis heute verwendeten Verbindungstechniken, so z.B. das Angießen oder Löten, bei Titan nicht möglich sind. Laser- oder Plasmaschweißgeräte garantieren heute einen sicheren Weg, lotfreie Verbindungsstellen anzufertigen.

(...)

Schlußbetrachtung
An 25 Testpersonen wurde vergossenes und unvergossenes Titan mittels zahnmedizinischer Gußobjekte verschiedener Größen auf seine biokybernetische Verträglichkeit überprüft. Bei 24 Testpersonen kann Titan als verträgliches Material eingestuft werden, bei einer Person wurde wohl die individuelle kritische Menge überschritten.
Aufgrund dieser Ergebnisse kann dieses von der CGE vergossene versprödungsfreie Titan als idealer Werkstoff angesehen werden. In Anbetracht der geringeren Kosten des Ausgangsmaterials im Vergleich zu Edelmetallegierungen und der im Rahmen liegenden teureren Verarbeitung wird Titan in Zukunft als echtes Alternativmaterial zu betrachten sein.

Literatur
(1) Thomsen, J.: Der Konflikt zwischen biokybernetischer Verträglichkeit und metallurgischen Eigenschaften bei der Entwicklung einer hochgoldhaltigen Dentallegierung. Panta 4 (1991) 59.
(2) Thomsen, J.: Über die biokybernetische Verträglichkeit von zwei neuen hochgoldhaltigen Dentallegierungen der ÖGUSSA. Biolog. Zahnmed. 4 (1988).
(3) Voll, R.: Topographische Lage der Meßpunkte der Elektroakupunktur. ML-Verlag Uelzen, 1, 2, 3 (1973, 1976).
(4) Soom, U.: Reines Titan in der Zahnmedizin und der Zahntechnik. Anwendungsbereiche in der Implatologie und der Prothetik. Swiss Dent 8 (1987) 27.
(5) Firma Dentaurum, Referat Öffentlichkeitsarbeit, 1991.
(6) Firma Morita Europe, Referat Öffentlichkeitsarbeit, 1989.
(7) Küpper, H.: Titan: II. Klinische Anwendungsbeispiele ZMK. Spitta Verlag, 6 (1991) 11-20.

(Anschrift der Verfasser: - Dr. Peter Stoll, Zahnarzt, Herrenstr. 36, 7806 March-Hugstetten - Joachim Pajenkamp, Zahntechniker, CGE Dental Präzisionsguß GmbH, Wallstr. 60, 7890 Waldshut-Tiengen 1)

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