Regulationsmedizin Ausgabe 4/1999
Ein Rädchen der inneren Uhr
Cryptochrom bei Säugetieren ohne Licht aktiv

Alle höheren Lebewesen besitzen eine innere Uhr. Sie sorgt dafür, dass zahlreiche physiologische Vorgänge in einem Rhythmus von ungefähr 24 Stunden ablaufen. Am besten untersucht ist der Mechanismus dieses zirkadianen Rhythmus bislang bei der Taufliege Drosophila. Ein winziges, aber unentbehrliches Zahnrad im Getriebe der inneren Uhr von Säugetieren haben jetzt amerikanische Forscher aufgespürt. Form und Funktion dieses Zellbestandteils sind in mehrfacher Hinsicht überraschend.
In zahlreichen Untersuchungen an Taufliegen haben die Wissenschaftler in den vergangenen Jahren herausgefunden, dass die beiden als "period" und "timeless" bezeichneten Proteine, deren Konzentration im 24-Stunden Takt wie Ebbe und Flut anschwillt und wieder sinkt, den Kern der biologischen Uhr darstellen. Am frühen Morgen kommen diese Schrittmacher in geringster Menge vor. Während der nächsten 12 Stunden die Konzentration der beiden Zeitgeberproteine ab, bis ihre Konzentration so niedrig ist, dass ihre Gene nicht mehr blockiert werden. An diesem Punkt kann der Zyklus von neuem beginnen.
Die innere Uhr folgt auch im Dunkeln einem 24-Stunden-Rhythmus. Mit Licht lässt sie sich jedoch aus dem gewohnten Takt bringen und somit vor oder nachstellen. Steve Kay und andere Wissenschaftler vom Scripps Research Institute in La Jolla/Kalifornien haben entdeckt, dass ein als Cryptochrom bezeichnetes lichtempfindliches Protein hierbei eine entscheidende Rolle spielt ("Science", Bd. 285, S. 553). Empfängt der Sensor Licht, ändert sich seine Form so, dass er nun das timeless-Protein bindet. Das hat zur Folge, dass der Rhythmus der inneren Uhr unterbrochen wird und der Ablauf neu gestartet werden kann.
Bei Säugetieren ist das Cryptochrom ebenfalls unerlässlich, soll der zirkadiane Rhythmus richtig oszillieren. Wie Steven Reppert vom Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School und andere Wissenschaftler bei Untersuchungen an Mäusen herausgefunden haben, entfaltet das Protein seine Wirkung jedoch ohne Licht ("Cell", Bd.98, S. 193). Das Cryptochrom entpuppte sich als ein zentraler Bestandteil der Uhrmechanik selbst und nicht nur als ein Knopf zum Verstellen der Zeit wie bei der Fliege oder bei Pflanzen. Ähnlich wie das timeless-Protein bei der fliege bildet es mit dem period-Protein ein Paar. Das Molekülpaar wandert in den Zellkern und hemmt dort bestimmte Gene, so dass letztlich weniger period-Protein entsteht.
Cryptochrome sind als Lichtrezeptoren in der Natur weit verbreitet. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts waren zahlreiche Physiker um Erwin Schrödinger von der Frage fasziniert, wie Licht und Leben zusammenhängen. Max Delbrück hat versucht, die molekulare Wirkungsweise dieser Lichtantennen bei dem einzelligen Pilz Phycomyces modellhaft zu verstehen. Zwar haben Forscher wie Paul Galland von der Universität Marburg wichtige Einblicke in die Funktion des Pilz-Cryptochroms gewonnen, das je nach seiner Feinstruktur auf blaues und rotes Licht reagiert. Doch bis heute sind viele Fragen zur Arbeitswiese dieses Lichtsensors ungeklärt. Dass das Cryptochrom im Verlauf der Evolution zweckentfremdet wurde und eine lichtunabhängige Funktion gewann, hat wohl niemand erwartet. Umgekehrt hätte wohl kein Biochemiker von der Funktion des Cryptochroms im Uhrwerk der Maus auf die tatsächliche Struktur dieses Proteins geschlossen.
(FAZ, 1.9.1999, Seite N 1)

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