Zeitschrift für Phytotherapie - Ausgabe 02/1999
Editorial
Begriffsverwirrungen
F. H. Kemper
    Wir leben offenbar in einer Zeit, in der man beim Gebrauch der Sprache als internationales Verständigungsmittel nicht mehr unbedingt auf Genauigkeit bei der Umsetzung einer anerkannten Begriffsdefinition achten muß; daß dies auch im Bereich der Wissenschaft geschieht, ist besonders bedauerlich.
    Was ist mit dieser orakelhaften Einleitung angesprochen?
    Zum Beispiel: Die seit einiger Zeit von daran offenbar – aus welchen Gründen auch immer – Interessierten geschürte Diskussion über eine »Bioverfügbarkeit« von »Herbal Medicinal Products« (HMP). So heißen zur Therapie von Krankheiten, aber auch in der Selbstmedikation zur Erhaltung der Gesundheit verwendete Arzneipflanzen-Zubereitungen jetzt bei der europäischen Administration – eine Bezeichnung übrigens, die bildhaft ist und in der modernen Welt ohne weitere Erläuterungen verstanden wird.
    Ob Wissenschaftler oder Laie, jeder weiß, daß HMP, selbst aus einer einzelnen Arzneipflanze, meist als Extrakt hergestellt, ein Stoffgemisch darstellen. Dieses wird, auch in der amtlichen Zulassungspraxis, in seiner Gesamtheit als »Wirkstoff« angesehen. Werden aus solchen Extrakten einzelne, chemisch definierte Substanzen isoliert, denen im experimentellen oder klinischen Nachweis spezifische Wirkungen zukommen, so sind diese in der Definition nur noch so lange HMP, wie sie im Gesamtpflanzenprodukt oder in definierten Extrakten vorliegen; im chemischen Reinstoff-Arzneimittel erfüllen sie nicht mehr die Definition des HMP oder Phytopharmakons.
    Unabhängig davon gibt es in diesen Extrakten teils prominente Einzelstoffe, die nicht notwendigerweise mit der therapeutisch genutzten Wirksamkeit im Zusammenhang stehen, aber als »Leitsubstanzen« geeignet sind, z.B. für Standardisierungszwecke. Auf der Hand liegt es, daß im Sinne der Definition die Untersuchung einer Bioverfügbarkeit dieser Leitsubstanzen wenig zweckdienlich wäre – tatsächlich nicht wissenschaftlich begründbar.
    Wie also soll bei diesen Gegebenheiten die »Bioverfügbarkeit« eines HMP experimentell festzustellen sein? Zur Erinnerung: Bioverfügbarkeit ist definiert als »Ausmaß und Geschwindigkeit, mit denen ein Wirkstoff am Wirkort (Rezeptor) zur Verfügung steht«. Bestimmende Faktoren sind Daten aus der Aufnahme in, die Verteilung im Organismus, Verstoffwechselung und Ausscheidung, zusammen als Kinetikdaten bezeichnet.
    Diese Sachlage macht klar, daß eine pharmakologische Charakterisierung von HMP sich in erster Linie an experimentell oder klinisch festzustellenden Wirksamkeiten orientieren wird; die hierbei benutzten Methoden sind die gleichen, mit denen Wirkungen chemischer Monosubstanzen untersucht werden. Daher ist es durchaus möglich, die erwünschten Wirkungen von HMP mit denjenigen entsprechender bekannter chemischer Stoffe zu vergleichen – man könnte von Äquivalenz-Untersuchungen sprechen. Vielleicht ergibt sich dabei sogar bei gleicher, erwünschter Wirksamkeit, daß das HMP weniger unerwünschte Begleitwirkungen hat.
    Sic transit gloria definitionis!

    Ihr Fritz H. Kemper
Kongreßbericht

Hanf als Medizin
F. Grotenhermen

Originalarbeiten
Ätherisch-Öl-haltige Zubereitungen – Bioverfügbarkeit und
Pharmakokinetik
I. van Rensen, C. Kohlert, R. März, M. Veit

Zum Status quo der Johanniskraut-Forschung
mit Beiträgen von: M. Wonnemann et al.; A. Singer et al.;
V. Butterweck et al.; R. D. Trautmann-Sponsel; U. Schmidt et al.;
M. Mück-Weymann et al.; R. Koytchev et al.

Forschung über die Artischocke: Status quo
mit Beiträgen von: V. Fintelmann; R. Gebhardt und A. Hanika;
R. Gebhardt et al.

Der boomende Heilpflanzenmarkt der USA
P. Brevoort

Situation pflanzlicher Arzneimittel in Deutschland und in Europa – Teil 2
B. Eberwein, F. H. Kemper, B. Steinhoff

Aus der Apotheke
Johanniskrautpräparate in der Apotheke
Th. Richter

Portrait einer Arzneipflanze
Der Lein oder Flachs – Linum usitatissimum
G. Willuhn

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