Magazin Bio - Ausgabe 05/2000

Depressionen

Endlich neuen Lebensmut gewinnen

Wie man die erdrückende Traurigkeit überwinden kann, welche Mittel und Methoden dabei Hilfestellung leisten, zeigt dieser umfassende Bericht von Norbert Messing. Denn: Niemand muss heute mehr an dieser Krankheit verzweifeln

Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt, das unentrinnbar und leise von allem ihn trennt.
Hermann Hesse

„Das bisschen Niedergeschlagenheit bringt niemanden um!“ Dies ist leicht gesagt. Aber: Aus Unbehaglichkeit wird schnell Niedergeschlagenheit, aus Schwermut bleierne Tristesse oder eine schwere klinische Depression. Und alle diese Stimmungslagen sind alles andere als Bagatellen. „In Deutschland sterben mehr Menschen durch eigene Hand als bei Verkehrsunfällen“, lautete kürzlich eine dpa-Meldung. Rund 12 000 Menschen wählen jährlich den Freitod - darunter mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen. Von einer Meute „schwarzer Hunde“ gehetzt - in dieses bedrängende Bild kleidete beispielsweise der kanadische Autor J. B. Mays sein Leben mit der Seelenverdüsterung. Die Melancholie - wie man das Leiden früher nannte - wirft Fragen auf, die uns alle elementar berühren: Was ist Glück? Was macht eine richtige, sinnerfüllte, gelungene Existenz aus? Deshalb ist die Beschäftigung mit den Depressionen und natürlichen Abhilfen nicht nur so etwas wie ein „Survival-Training“, sondern auch eine „Hohe Schule der Lebenskunst“. Denn die „Mitternacht des Grams“ (Hölderlin) kann uns vieles lehren. Sie kann sich für den, der die Botschaft richtig zu deuten weiß, als Türöffner zu einem bewussteren Leben erweisen. Dr. Dean Ornish, der international angesehene Herzspezialist hat dies demonstriert. Erst nach einer tiefgreifen-den, ernsten Phase der Niedergeschlagenheit fand er seinen Weg zu ganzheitlichen Ansätzen bei der Behandlung von Herzinfarkt und Arteriosklerose - und wurde damit weltberühmt.

Ursachen für Depressionen

Depressionen treten in sehr unterschiedlichen Formen auf, sie können ? reaktiv eintreten (in Folge eines Todesfalles oder durch anderen Stress) oder ? neurotisch auf der Basis ungelöster Konflikte aus der Kindheit bedingt sein. Es kann sich um Vorkommnisse ? saisonalen Charakters (Herbst- und Winterdepression, SAD) sowie um endogene Einwirkungen handeln, über deren eigentliche Ursache (Gene?) man nicht sehr viel weiß, obwohl man dahinter aus gutem Grund Stoffwechselstö-rungen des Gehirns vermutet. Außerdem wird der Betroffene oder Interessierte von Unterscheidungen wie etwa * ? majore oder ? minore Depression hören. Er-stere - die schweren Fälle, müssen mit Antidepressiva behandelt werden, bei Letzteren hilft oft (Verhaltens-) Psychotherapie, gegebe-nenfalls kombiniert mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI). Schließlich sind da noch die lavarierten Depressionen. Sie sind schwer in den Griff zu bekommen, weil dabei die körperlichen Missbefindlichkeiten (z.B. Unwohlsein, schlechter Schlaf, Konzentrationsprobleme) im Vordergrund stehen, wodurch der Blick auf die zu Grunde liegende Depression verstellt wird. Ob nun endogen oder reaktiv, major oder saisonal: Dies alles zu wissen ist - wie man neuerdings in der Forschung meint - zwar in-teressant, aber nicht ganz so wichtig wie ursprünglich gedacht. Man bewertet die unterschiedlichen Depressionsformen heute haupt-sächlich nach der Schwere und Zahl der beeinträchtigenden Symptome. Dieser Maßstab ist auch für den Patienten verständlich und ihm angemessen - denn um sein Befinden, Wohlergehen, Überleben geht es, und nicht um spitzfindige Klassifikationen ohne große Relevanz für die Therapie.

Depression - der „schlecht gemixte Hormon-Cocktail“

Der Mensch steht ständig unter Drogen, ob er will oder nicht. Im Körper kursieren vielerlei Hormone und Substanzen, die Einfluss auf unsere seelisch-geistig-körperliche Befindlichkeit nehmen. Diese Vorgänge laufen oft genug aus dem Ruder. Eine Folge davon: Lustlosigkeit, Niedergeschlagenheit - Depression. „Viele Depressionen“, so meint Prof. Isabella Heuser (Zentralinstitut für seelische Gesundheit, Mannheim), „werden durch einen schlecht gemixten Hormoncocktail ausgelöst.“ Wir dürfen nun aber nicht, wie dies so oft in der Medizin geschieht, in den Irrtum verfallen, das „Ausgerastete“ künstlich wieder einrenken zu wollen. Etwa nach dem Motto von Professor Otto Leowi (Nobelpreis für Medizin, 1936), einem Pharmakologen. Das Tagesprogramm für gute Stimmung aus dem Schächtelchen des 92-Jährigen sah folgendermaßen aus: morgens Speed (ein Weckamin), danach schleimlösende Mittel, um die Bronchien richtig frei zu bekommen. Beim leichtesten Anflug depressiver Gedanken zwischendurch Heroin und schließlich abends „zur Entspannung“ ein Opiat. Selbst wer eine solche für viele tödliche Mixtur aushält und strafrechtlich ungeschoren davonkommt, macht sich dadurch zur Marionette willkürlicher Eingriffe ins biochemische Gleichgewicht des Körpers. Die ideale, optimale Balance kann nur der Stoffwechsel selbst finden. Dazu bedarf es nicht der Pillen-Box, sondern guter, richtiger, angemessener Lebensgewohnheiten.

Ein Seelen-Leiden zum Tode

Depression, die Verdunklung der Seele, ist selbst nicht lebensgefährlich - wohl aber in vielen Fällen tödlich. Das große alles überschattende Problem des Leidens ist die einhergehende, stark ausgeprägte Selbstmordneigung. Statistisch erfasst werden bei uns pro Jahr etwa 12 000 Selbsttötungen, wobei jedoch von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen ist (die wirklich ernst gemeinten Versuche schätzt man auf ungefähr 150 000). Depressionen und Suizid zeigen sich aufs engste miteinander verschwistert. Die meisten Selbstmörder legen aus einer Depression heraus Hand an sich. Mehr als die Hälfte der Patienten unternimmt im Laufe der Jahre zumindest einen Selbstmordversuch, in 15 Prozent der Fälle erfolgreich. Unheimlicher Trend: Obwohl viel von den neuen und jungen Alten die Rede ist, von ihrer Kaufkraft und ungebroche-nen Lebenslust, nimmt vor allem in fortgeschrittenen Lebensjahren die Selbstmordhäufigkeit zu. Die Hälfte der Selbst-morde bei Frauen geht auf das Konto der über 60-Jährigen. Auch bei Männern ist die Suizidrate der älteren überpropor-tional hoch (17 Prozent Bevölkerungsanteil - 32 Prozent der Selbstmorde).

Mehr Effizienz in der Therapie: Netzwerke knüpfen!

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WWW gegen World Wide Depression

Vernetzung heißt eines der Schlüsselwörter des Informations-Zeitalters. Konkret kann man bemerken, dass Betroffene immer häufiger via Internet ganz ohne Aufwand und in Windeseile Kontakte knüpfen (Online-Selbsthilfegruppen). Wis-senschaftler tauschen sich manchmal nur noch über die weltumspannende Plattform aus. Im Hinblick auf Depressionen und die damit einhergehende Selbstmordneigung will hier die Adresse ? www.mednet-depression.de (= Internet-Adresse des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“) zum Hauptumschlagplatz sowohl für Fachleute, Betroffene wie Angehörige oder sonstige Interessierte werden. Fündig wird man auch unter www.psychiater.org. Und eine geradezu erdrückende Fülle von Informationen zur Ent-stehung depressiver Erkrankungen und dem Leben mit dieser Bürde finden sich auf den Seiten von www.depression.de (Patientenservice eines Pharma-Unternehmens) bzw. Für die Schweiz unter www.depression.ch/selbsthilfe.html. Emp-fehlenswert für alle Menschen in Lebenskrisen ist nicht zuletzt der unter www.kuckuck.solution.de abrufbare Sachver-stand. Eine Depressions-Hotline ist Dienstag + Donnerstag von 20 bis 22 Uhr erreichbar unter Telefon 01805-707070. Ein-gerichtet und finanziert wird dieser Service allerdings ebenfalls von einem Pharmaunternehmen. Adressen von qualifi-zierten Therapeuten vermittelt der ? PID, Psychotherapie-Informationsdienst, Telefon 0228-746699. Die Adressen kön-nen auch im Internet nachgeschlagen werden, und zwar unter ? www.psychotherapie.de oder ? www.psychotherapiesuche.de.

Nähere Informationen erhalten Interessierte über den BIO-Leserservice, 82327 Tutzing, Tel. 08158/8021, Fax 7142. eMail: BIO Ritter@aol.com

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