Zeitschrift für Phytotherapie - Ausgabe 02/2000
Editorial
    Brennende Sorgen

    Dieses Editorial fällt zeitlich zusammen mit zwei für die Phytotherapie bedeutsamen Publikationen:
    1. dem Erscheinen einer ersten »Leitlinie« der DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin e.V.): Brennen beim Wasserlassen« (Z. Allg. Med. 2000; 76: 35–48) und
    2. der »Liste 2000« der Verbraucher-Zentrale Hamburg e.V., die vor allem im allopathischen Sinne verwendete Phytopharmaka – Herbal Medicinal Products (HMP) – betrifft.

    Beide Publikationen bergen Besorgnis für eine mögliche Einschränkung der ärztlichen Handlungs- und Verschreibungsfreiheit bei einer therapeutischen Verwendung von HMPs; die »Liste 2000« zudem noch durch deren Selektion aus Gruppen grundsätzlich vergleichbarer Arzneimittel und damit der Gefahr einer über den Empfehlungscharakter hinausgehenden, unzulässigen Bevormundung der Patienten.

    Zu 1: DEGAM-Leitlinien erheben den Anspruch »Hausärzte bei einer angemessenen, qualitativ hochwertigen Versorgung ihrer Patienten zu unterstützen«. Zum Entstehungsverfahren dieser Leitlinien wurde – und das ist im Sinne einer Transparenz sehr zu begrüßen – ausführlich berichtet und um Kommentare ersucht (Z. Allg. Med. 2000; 76: 94–97).

    So finden sich sowohl in der Leitlinie als auch in der Entstehungspublikation Hinweise über »Naturheilverfahren«. Erstaunlich ist nur, dass trotz der beanspruchten Transparenz im Dunkeln bleibt, welche Fachgesellschaft in der Stufe 6 des Verfahrens offiziell für die Belange eines durchaus möglichen Einsatzes einer allopathischen Phytotherapie und deren sachgerechter Begründung um Kommentierung angefragt wurde. Das bleibt vor allem bedauerlich, weil sich viele der Einzelheiten des Entstehungsprozesses in hervorragender Weise gerade auf eine Beteiligung der Phytotherapie bei einer Behandlung des Symptomenkomplexes »Brennen beim
    Wasserlassen« adaptieren lassen. Schließlich ist die hausärztliche Praxis eine Domäne der Phytotherapie, die bei einer beachtlichen Zahl entsprechender Indikationen ihren Wert bewiesen hat – vgl. hierzu Monographien der Kommission E (BfArM), ESCOP, WHO.

    Anzuerkennen sind durchaus »hausärztliche Besonderheiten« bei einer Diskussion der Anwendung von »Evidence basierter Medizin« (EBM). Auch hier bestehen enge Analogien zur Phytotherapie (vgl. S. 94). Wenn also die DEGAM-Leitlinien ein »Praxisorientierter Handlungsleitfaden« sein sollen, so gehörten in diese erste Leitlinie der DEGAM mit gutem Recht auch die Phytotherapeutika (HMP), die auf eine Wirksamkeit bei diesem Symptomen- komplex verweisen können, ohne dass beispielsweise eine Gefahr besteht, zur Antibiotika/ Chemotherapeutika-Resistenz beizutragen.

    Interessant, weil auch im Bereich urologischer krankhafter Abweichungen, ist die Tatsache, dass bei dem Entstehungsprozess eines anderen Leitlinienpapiers, der »BPH (Benigne Prostata- hyperplasie)-Leitlinie« der DGU (Deutsche Gesellschaft für Urologie), die Gesellschaft für Phytotherapie als wissenschaftliche Fachgesellschaft nachhaltig am Verfahren beteiligt war und bei der anstehenden Überarbeitung sein wird.

    Unser Vorschlag: Im Hinblick auf das »Verfalldatum« der Leitlinie und der zuvor notwendigen Überarbeitung auch Spezialisten der Phytotherapie zu hören – sowohl aus der Grundlagen- als auch insbesondere aus der klinischen Forschung. Aus der Sicht der Gesellschaft für Phytotherapie ist dabei ausdrücklich, zumindest über das im amtlichen Zulassungsverfahren bekannte Instrument einer sinnvollen und gut dokumentierten Anwendungsbeobachtung, die hausärztliche Praxis mit ihrem großen Erfahrungswissen einzubinden. Nur mit »Evidenz« (EBM) lässt sich, zumindest bei dem hier in Rede stehenden Symptomenkomplex, das Problem
    nicht vollständig lösen. His salus aegroti suprema lex esto!

    Zu 2: In schneller Folge sind kürzlich »Listen«* erschienen, die im Zusammenhang mit einer
    »Gesundheitsreform« als gemeinsames Anliegen erklären, Hilfestellung bei der therapeutischen Nutzung von HMP zu sein. Diese Listen weisen Gemeinsamkeiten auf. Erstaunlicherweise aber finden sich auch in beiden Publikationen nahezu gleiche Unvollständigkeiten, die – ohne Präjudiz – eine gemeinsame Entstehung möglich erscheinen lassen.

    Dieser sich wahrhaft zum »Komplex« ausweitende Sachverhalt mit erheblicher Bedeutung für die Phytotherapie macht eine Darstellung und Kommentierung zwingend notwendig (vgl. S. 102ff).

    Ihre Meinungen, verehrte Leserinnen und Leser der ZPT, zu diesem »Komplex« sind sehr willkommen.

     *1. Notwendige Arzneimittel. Empfehlungen zum Gebrauch pflanzlicher, homöopa-
    thischer und anthroposophischer Arzneimittel. Verbraucherzentrale Hamburg e.V. in
    Öko-Test Magazin, Heft 3. März 2000.

    2. Transparenzkriterien für pflanzliche, homöopathische und anthroposophische Arzneimittel. Herausg. Th. Dingermann. Verlag Karger 2000, ISBN 3-8055-7045-7.


    Fritz H. Kemper
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