Panta Ausgabe 4/1994
Von der Wechselbeziehung zum Systemdenken
Helmut Huf

Zusammenfassung
Wir stehen heute vor einer Wende, da das statische Konzept nicht mehr ausreicht.
Mit Hilfe der Elektroakupunktur nach Voll (EAV) können bisher ungeahnte Dimensionen einer komplexen Materie erschlossen und die unsichtbare Dynamik energetischer Zusammen-hänge erkannt werden.
Diese multiplen vernetzten Zusammenhänge wurden von Voll als Wechselbeziehungen bezeichnet. Dieser Begriff hält wissenschaft-lichen Diskussionen nicht mehr stand und erscheint unzeitgemäß.
Durch das Einführen systemtheoretischer Betrachtungsweisen in die EAV wird eine Anpassung an die moderne Terminologie der Systemtheorie vorgenommen, die heute auch in der Definition der EAV Eingang gefunden hat.


Schlüsselwörter
Wechselbeziehung
vernetztes Denken
Systemzusammenhang
Systemdenken
Systemtheorie

Summary
Today we are facing a change, because the static concept is not sufficient any longer.
With the help of the acupuncture according to Voll (EAV), it is possible to open up dimensions of a complex matter which have been unimagined so far and the invisible dynamics of energetic connections can be realized.
Voll has called these multiple cross-linked connections interrelations. This term no longer withstands scientific discussions and seems to be old-fashioned.
By the introduction of systemtheoretical approaches in the EAV, an adaptation to the modern terminology of system theory is made, which is also used for the definition of the EAV today.

Keywords
Interrelation
cross-linked thinking
system connection
system thinking
system theory

Die medizinische Forschung basiert schwergewichtlich auf der Physik des 19. Jahrhunderts und konzentriert sich vornehmlich auf biochemische Vorgänge. Eine rein materialistische Sichtweise steht im Vordergrund aller Betrachtungen, obwohl es bekannt ist, dass dieses Konzept nicht ausreicht, denn der Körper ist nicht nur Chemie - also Materie -, sondern auch Energie - häufig als Kraftfeld bezeichnet.
Es ist immer vom Standpunkt des Betrachters abhängig, ob er Materie oder Energie in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stellt. Es gibt heute nichts Absolutes mehr, es kommt immer auf den Aspekt der Betrachtung an. Abraham Maslow, Mitbegründer der humani-stischen Psychologie, sagte: "Wenn man nur einen Hammer als Werkzeug hat, dann behandelt man alles, als ob es ein Nagel sei."
Durch das Wissen, dass Materie und Energie verschiedene Manifestationen des gleichen Phänomens sein können, sollten wir als Therapeuten auch beide Möglichkeiten in den diagnostischen und therapeutischen Bemühungen anwenden.

Durch Planck und Einstein fand zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Umkehr statt, die uns gezeigt hat, dass die Energie die Wurzel allen Seins ist und Materie lediglich eine besondere Form von verdichteter Energie darstellt. Dennoch führt die traditionelle Medizin nur stoffbezogene Analysen durch und sucht nach materiell nachweisbaren Veränderungen. Sie verstrickt sich immer mehr in den biochemischen Abläufen des Organismus, ohne ein Interesse dafür zu zeigen, wie diese Abläufe gesteuert werden. Das Umdenken wird erschwert durch einen Ballast an Lehrmeinungen und Dogmen.
Die traditionelle Medizin hat in der Behandlung akuter Erkrankungen zweifelsfrei große Fortschritte erzielt, bietet jedoch bei funktionellen Beschwerden unzureichende Behandlungsmöglichkeiten. Trotz gigantischer Technik und explodierender Kosten muß die konventionelle Medizin bei chronischen Leiden oft passen.

Das Handeln im Bereich der Medizin ist abhängig vom jeweils gültigen Dogma und von den dadurch als gültig angesehenen Auffassungen. Es ist unvorstellbar, in welch starkem Maße die konventionelle Medizin vom analytischen linearen und monokausalen Denken behaftet ist, obwohl die moderne Physik - also das gültige Dogma - ein multifaktorielles, vernetztes und damit ganzheitliches Denken fordert.
Wir müssen die Einseitigkeit unseres Denkens in der Medizin überwinden und von ganzheitlichen Modellen lernen, somit öffnen wir uns einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen und versetzen uns in die Lage, den so dringlich erforderlichen Paradigmawandel zu vollziehen.
"Jede neue Erkenntnis" - so ein Zitat von Herophilus - "muß zwei Hürden überwinden: das Vorurteil der Fachleute und die Beharrlichkeit eingeschliffener Denksysteme."

Ziel dieser Arbeit soll es erstens sein, eventuell vorhandene Vorurteile abzubauen und Wege zu weisen zu einer Synthese abendländischer und fernöstlicher Medizin; zweitens soll sie die Polarität beider Elemente - also Materie und Energie - ins Bewußtsein bringen, denn so ergibt sich ein zunehmend genaueres Bild der menschlichen Natur und des Kosmos.
Wir stehen heute vor einer Wende, da das statische Konzept nicht mehr ausreicht. Die Entwicklung des Bewußtseins, dass auf dieser Welt nichts statisch ist, sondern nur unser Unwissen es uns so erscheinen läßt, ist eine zwingende Voraussetzung, die Muster des menschlichen Lebens, die den Mustern der Natur entsprechen, zu erkennen.
Unumstritten hängt detailliertes Wissen von der Gliederung in Fachbereiche ab. Es ist jedoch genauso wichtig, die Verbindungen und Vernetzungen zwischen den verschiedenen Disziplinen und Informationsbereichen herzustellen, um die Bruchstückhaften Sachkenntnisse zu einem vollständigen Bild zusammenzufügen, d.h. die Behandlung eines Patienten darf nicht nur auf einem materiellen Konzept aufgebaut sein, sondern muß auch einen ener-getischen Aspekt haben.
Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass energetische Methoden wie die EAV kein Ersatz sein sollen, sondern in das System unserer traditionellen Medizin integriert werden müssen, um dieser wesentliche und notwendige Ergänzungen zu deren Möglichkeiten zu geben. Die EAV ist somit keine neue Spezialdisziplin der Schulmedizin, ihr liegt jedoch eine veränderte Wahrnehmung der Realität zugrunde, bedingt durch eine grundlegende Andersartigkeit des Denkens. Deshalb brauchen wir auch keine Änderung unserer allgemein-pathologischen Anschauung, also kein anderes Wissen. Es muß lediglich das funktionelle Geschehen neben den nach analytischen Gesichtspunkten erhobenen Befunden mehr in den Vordergrund rücken.

In der Akupunkturphysiologie wird von der gegensätzlichen und sich zugleich ergänzenden Polarität aller Dinge und aller Kräfte - in China als Yin und Yang bezeichnet - ausgegangen. Nach chinesischer Auffassung besteht auch der Mensch, der eine Widerspiegelung des Universums darstellt und somit ein Mikrokosmos im Makrokosmos ist, aus diesen gegensätzlichen Kräften, diesich einerseits konträr gegenüberstehen und sich andererseits ergänzen. Im chinesischen Sinn bedeutet Gesundheit ein harmonisches Gleichgewicht aller Kräfte. Umgekehrt bedeutet Ungleichgewicht Störungen des Wohlbefindens, aus denen heraus sich Krankheit entwickeln kann. Somit kann der Mensch nicht isoliert von seiner Umwelt betrachtet werden, vielmehr sollte hier eine ökologische Betrachtungsweise zugrundegelegt werden. Die Anerkennung des männlichen und weiblichen Prinzips - also Yin und Yang - als ursprüngliche Polarität im Individuum und im Kosmos ist Bestandteil des chinesischen Denkens seit über 3000 Jahren bis heute. Dieses Weltbild hat als einziges einen derart langen Zeitraum überstanden. Es hat bis heute volle Gültigkeit. Aus der Sicht der Chinesen ist der Kosmos eine organische Einheit - ohne Anfang und ohne Ende -, in der alle Stufen und Stadien der Schöpfung gegenwärtig sind. Die Quelle allen Seins - das große Nichts - nannten die Chinesen das TAO, sie sahen es als Urprinzip des Universums an. Wir, die wir aus einem verkehrten Denken heraus nur einen Teil des TAO sehen - also im übertragenen Sinn nur die analytische Medizin -, sind nicht fähig, es in der Gesamtheit zu begreifen. In unserem Zeitalter sind Yin und Yang nicht mehr friedlich vereint, da wir nur isolierte Ausschnitte der Wirklichkeit erkennen.
"Was wir beobachten, ist nicht die Natur selbst", so ein Zitat von Werner Heisenberg, "sondern die Natur, wie wir sie betrachten." Und hier liegt unser Fehler! Wir betrachten die Natur ohne die Gesamtzusammenhänge, und dadurch entsteht eine Art "Kreuzworträtsel-Intelligenz", wie Vester es nennt.

Frederic Vester schreibt in seinem Buch "Leitmotiv vernetztes Denken" (1):
"Dass viele Fachexperten die übergreifenden Systemzusammenhänge nicht erkennen, liegt daran, dass sie an isolierten Ausschnitten der Wirklichkeit ausgebildet wurden. Der Grund für diese so späte Entdeckung liegt damit in der Art unserer Ausbildung, in der Art, wie uns unsere Schulen und Universitäten die Welt präsentieren: als eine heterogene Menge getrennter Komponenten, die wir zwar alle einzeln kennen, ohne jedoch die Beziehungen und das Wechselspiel zwischen ihnen zu erfassen. Ein System, dessen Verhaltensmuster wir somit weitgehend ignorieren und das deshalb in unseren Hörsälen und Forschungsstätten keinen Platz findet. Damit findet aber auch dort die Realität, wie sie ist, im Grunde keinen Platz. D.h. nichts anders, als dass unsere Schulen und Hochschulen die Auszubildenden betrügen, weil sie ihnen ein falsches Wirklichkeitsbild präsentieren. Analog verhält es sich mit der Medizin, wo wir meist unter Ausschaltung der Selbstheilungskräfte Störungen an Ort und Stelle zu reparieren versuchen, um dann wieder die Folgen der Reparatur reparieren zu müssen. Von einer cleveren kybernetischen Medizin sind wir bei aller ‚High-Tech' daher ebenfalls noch weit entfernt."

Dieses Buch von Frederic Vester ist 1988 erschienen. Bereits 35 Jahre früher, also 1953, gelang es Dr. Reinhold Voll, Arzt in Plochingen, ein bioenergetisches Regulationsverfahren, die Elektroakupunktur, zu entwickeln, die genau die von Vester geforderte kybernetische Medizin darstellt. Die Ganzheitsmethode der Elektroakupunktur beinhaltet also als geistiges Fundament die ostasiatische Akupunkturphysiologie ebenso wie das von Vester geforderte kybernetische Denken, also das Denken in Systemzusammenhängen. Nur wenige haben bis heute die wirkliche Tragweite dieser genialen Erfindung erkannt.

Durch eine eigene schwere Krankheit, deren Ausheilung nach schulmedizinischer Beurteilung unmöglich war, hat Voll schon sehr früh erkannt, dass kybernetische Eingriffe in vernetzte Systeme zum Systemkollaps führen können. Daher wandte er sich der Akupunktur und der Homöopathie zu, um Gesetzmäßigkeiten und Gesamtzusammenhänge zu finden. Ihm war klar, dass lediglich Impulsvorgaben zu Selbstregulation nötig waren, um eine Harmonisierung und Gesundung zu erreichen. Er wollte keine künstlich aufrechterhaltene Gesundheit, er wollte vorhandene Kräfte aktivieren, um seine Erkrankung zu beseitigen. Auf geniale Art und Weise hat Voll die aus der ostasiatischen Medizin bekannten Fluktuationen zwischen Yin und Yangund das Ungleichgewicht zwischen ihnen, das Krankheit verursacht, meßbar gemacht. Ihm war bekannt, dass seine Genesung eben von der Regulierung dieses Ungleichgewichts abhängt. Um gezielte Interventionen in die Prozesse des menschlichen Körpers durchführen zu können, gab er die Konstruktion eines Geräts in Auftrag, in dem er in erster Linie die vorhandenen Selbstheilungskräfte zu stärken und zu stimulieren erhoffte.

Nach Voll heißt es (2): "Wenn die Theorie - sprich Hypothese - stimmt, dass jedes Organ je nach seiner Gesundheitslage mehr oder weniger Energie erzeugt oder verbraucht und Gesundheit tatsächlich als ein energetisches Gleichgewicht aufzufassen ist, das über die einzelnen Akupunkturpunkte beeinflußbar ist, dann müßte es möglich sein, mit Hilfe moderner Meßgeräte diese Energie zu bestimmen und nach Bedarf ins Gleichgewicht zu bringen."

Durch umfangreiche Messungen fand Voll sehr schnell heraus, dass an den Akupunktur-punkten tatsächlich ein anderes Potential herrscht als an den übrigen Stellen der Haut, dennoch hat die Schulmedizin die Existenz der Akupunkturpunkte kontinuierlich geleugnet. Erst Prof. Heine konnte durch histologische und elektrophysiologische Untersuchungen nachweisen, dass den Akupunkturpunkten ein klar zu definierendes morphologisches Substrat zugrundeliegt. Es handelt sich hier nach den Untersuchungen von Heine um Perforationen der oberflächlichen Körperfaszie. Durch diese Perforation ziehen Gefäß-Nerven-Bündel in die Tiefe. Somit findet auch das Absinken des Hautwiderstands im Bereich der Akupunktur-punkte eine Erklärung.
Durch die Arbeiten von Heine beginnt die moderne Wissenschaft Erklärungen zu finden, die einen beachtlichen Beitrag zu unserem Verständnis der alten chinesischen Weisheit liefern.

(...)

Literatur
(1) Vester, F.: Leitmotiv vernetztes Denken. Heyne Verlag, München 1988.
(2) Voll, R.: Kopfherde. ML-Verlag, Uelzen 1974.
(3) Beisch, K.: Systemdenken in der Medizin. Naturmedizin Heute 1/87.
(4) Vester, F.: Neuland des Denkens. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1991.
(5) Huf, H.: Die EAV - Eine Fachgebietsgrenzen überschreitende Methode, dargestellt am Beispiel einer Alopezie. Panta 4/90.

(Anschrift des Verfassers: Dr. med. dent. Helmut Huf, Fackenburger Allee 94, 23554 Lübeck)

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